Diversität: Von der Bedrohung der Unterschiede zum Reichtum der Vielfalt
Das Konzept der Diversität hat seinen Ursprung unter anderem in der Bürgerrechtsbewegung, welche sich gegen jede Diskriminierung zur Wehr setzte, die sich aufgrund von Unterschiedlichkeiten unter Menschen ergaben.
von Daniel Zindel
«Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen»...
… nicht nur im Grimm’schen Märchen wird eingeteilt. Es ist ein urmenschliches Phänomen, dass wir Menschen uns gegenseitig katalogisieren. Solche Einteilungen nehmen wir gemäss dem Diversitätskonzept anhand von sog. Differenzlinien vor: Jung – alt, weiss -schwarz, männlich – weiblich, reich – arm, gesund – krank, heterosexuell – homosexuell. Warum kategorisieren wir uns aufgrund unserer Unterschiedlichkeiten? Zunächst gilt: Diese Einteilung gibt uns eine Übersicht.
Wir verschaffen uns so angesichts der unendlichen Unterschiedlichkeiten, auch Diversität genannt, den Überblick.
Aber es ist nicht ganz unbedenklich, wenn wir solche Differenzierungen vornehmen: Vom Einteilen zum Austeilen von Noten, ja gar zum Setzen von Normen, ist es nur ein kleiner Schritt. «Einheimisch – Fremder», es braucht gar nicht so viel, bis aus dem gesunden Stolz auf seine eigene Heimat kranke Verachtung für alles Fremde wird. Gerade wenn man sich in einer Machtposition befindet, besteht die Gefahr besonders, solche Einteilungen dazu zu verwenden, andere abzuwerten, zu diskriminieren
Anerkennung von Unterschiedlichkeit
Wie könnte ein christlicher Ansatz im Umgang mit Diversität aussehen? Man könnte versucht sein, Differenzierungen generell unter Verdacht zu stellen so im Sinne: Wer differenziert, diskriminiert. Darum wehret den Anfängen und lasst uns die Unterschiedlichkeiten verwischen. Tatsächlich gibt es Bestrebungen, «natürliche» Unterschiede wie zum Beispiel des biologischen Geschlechts aufzulösen. Geschlecht wird dann im Sinne von «Gender» lediglich als soziales Konstrukt betrachtet. Das ist es auch, aber nicht nur!
Wir werden unserem Menschensein nur gerecht, wenn wir ethnische, physische, religiöse, sexuelle oder altersspezifische Unterschiedlichkeiten ernst nehmen und sie nicht einebnen.
Dann besteht die Gefahr, Diversität in ihrem (berechtigten) Anliegen zu überdehnen und damit ins Gegenteil zu drehen und ideologisch zu überfrachten.
«Richtet nicht»
So wie in der Macht die Tendenz liegt, sie zu missbrauchen, ist in jeder Einteilung von Menschen die Versuchung angelegt, diese Unterschiedlichkeiten in ein Gefälle zwischen besser und schlechter zu bringen. Mann – Frau, Christ – Moslem, konservativ – progressiv, hetero- homosexuell … Sich zu überheben und andere zu unterwerfen ist eine menschliche Urversuchung. Jesus erzählt ein abstossendes Beispiel eines solchen Hierarchisierungs- und Diskriminierungsprozesses, wenn er einen Pharisäer und einen Zolleinnehmer beschreibt, wie sie ihr Gebet praktizieren: «Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder wie dieser Zöllner.» Besagter Zöllner stand abseits und betete: «Gott sei mir Sünder gnädig!»
Der Verzicht, selbst nicht zu urteilen und das Richten Gott zu überlassen, bewahrt uns vor unguten Hierarchisierungsprozessen.
Denn der Mensch sieht nur, «was vor Augen ist». Gott allein sieht das Herz an. Er kennt die Tiefenschichten unserer Persönlichkeit. Er ist mit unseren tiefsten Motiven, Ängsten, Verletzungen und Sehnsüchten vertraut. Richtet nicht: Es steht mir ein letztes Urteil nicht zu, ich überlasse das Gott. Ich weiss es letztlich nicht.
Ringen um eine christliche Ethik
Wenn wir erstens die Vielfalt des Lebens anerkennen und unsere Unterschiedlichkeiten («Heterogenität») als gute Gabe des Lebens anschauen, wenn wir zweitens darauf verzichten, zu richten, entbinden uns diese Haltungen nicht von grundlegenden Fragen: Welche Leitlinien erkennen wir von Gott her als wegweisend für ein gelingendes Leben? Wie sieht eine von Christus geprägte Ethik und Lebensführung aus? Welche Haltungen und Handlungen gefährden das Leben? Welche Erziehungsziele haben wir für unsere Kinder? Nicht zu richten, bedeutet keineswegs Verzicht auf eine persönliche ethische Urteilsfindung.
Die Anerkennung von Diversität soll Hand in Hand mit einer vor Gottes guten Ordnungen verantworteten Lebensführung einhergehen.
Wenn wir aufhörten, unsere Überzeugungen und unsere Wahrheit zu vertreten, wird unser Leben beliebig und belanglos. Diese persönliche Wahrheit sollen wir in Liebe festhalten.
Mögliche Schwäche des Ansatzes
Die sehe ich darin, dass wir versucht sind, Menschen ausschliesslich mit der «Diversitätsbrille von Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiedlichkeiten» zu sehen: Was ist gleich? Was ist anders? Eine einseitige Fokussierung auf Differenzlinien hat die Wirkung von Scheuklappen. Wir sind dann versucht, den Menschen in seiner Einmaligkeit und Individualität aus den Augen zu verlieren.
«Wer Menschen auf einzelne Merkmale reduziert, greift deren individuelle Identität an,»
sagt der Theologe Wolfgang Huber an einer Diversity-Konferenz. Ich, Daniel Zindel, bin ein alter, weisser Mann, ja, und doch bin ich unendlich viel mehr!
Einmaligkeit als Geschöpf Gottes
Diversität zielt auf die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Weltanschauung, ihrem Lebensalter etc. Dieser Ansatz dient nicht nur dem sozialen Frieden, sondern ist Ausdruck der Menschenliebe.
Der «Diversity – Ansatz» macht uns nicht nur sensibel dafür, wie wir in Bezug auf Differenzierungen ticken, sondern ob oder wie wir diese Differenzlinien allenfalls (miss)brauchen.