Daniel Wartenweiler - Neuer Leiter der Stiftung Gott hilft

Daniel Wartenweiler ist offiziell seit Anfang Januar der neue Gesamtleiter und Theologischer Leiter der Stiftung Gott hilft. Die Entscheidung wurde bereits im Sommer 2021 einheitlich vom Stiftungsrat und der Stiftungsleitung getroffen. Im Interview lernen wir ihn in seiner Funktion etwas näher kennen.

Datum
9. März 2022

Daniel, du hast als neuer Gesamtleiter und Theologischer Leiter anfangs Januar gestartet. Die Stiftung ist aber kein Neuland für dich. Du hast deine Kindheit und Jugendzeit hier auf dem Areal verbracht, deine Eltern haben damals die Wohngemeinschaft Steinbock der Studierenden der HFS und danach das Alterszentrum Serata geleitet. Wie fühlt es sich an, nach so vielen Jahren in dieser Funktion zurück in die Stiftung zu kommen? Wirkt die Stiftung vertraut oder fremd?

Natürlich lerne ich nun eine ganz andere, neue Perspektive kennen. Die Stiftung hat sich verändert, aber auch ich habe mich verändert. Trotzdem ist auch vieles vertraut: Ich kenne einzelne Mitarbeitende, Ehemalige oder Freunde noch von früher. Menschen erzählen mir davon, wie sie mich als Kind oder Jugendlicher getroffen haben, oder dass sie mit meinen Eltern zusammengearbeitet haben. Das gibt mir ein Gefühl der Kontinuität und der Zugehörigkeit. Es ist schön, irgendwo in einer kleinen Ecke bereits Teil der langen Stiftungsgeschichte zu sein. Es gibt auch Momente, wo es schon speziell ist durch die Räume zu gehen, in denen wir als Familie einmal gelebt haben, so zum Beispiel im unteren Stock des Serata, wo jetzt die Aktivierung und Weiterbildungsräume sind.

Du wurdest bereits anfangs 2021 als Nachfolger von Daniel Zindel gewählt. Seitdem ist einiges im Umbruch. Ihr seid als Familie nach Graubünden gezogen und habt euch gemeinsam auf diesen Weg eingelassen. Wie geht es euch als Familie in diesem Wechsel?

Ich  bin froh, dass wir bereits im Sommer umgezogen sind und somit schon gut hier angekommen sind. Die letzten Monate waren jedoch schon herausfordernd. Besonders für die Kinder war der Wechsel nicht einfach, und wir alle hatten zeitweise „Heimweh“ nach Effretikon. Die Kinder waren dort sehr gut integriert und vermissen ihre Freundinnen und Freunde. Besonders schwierig war der Wechsel für unsere Tochter Jael. Doch kürzlich sagte sie mir vor dem Schlafen: „Papa, eigentlich ist es hier nun auch gut. Ich weiss nicht, ob ich wieder nach Effretikon zurück möchte, denn hier kenne ich nun alle gut.“ Auch meine Frau Lynette muss ihren Platz neu finden. Es ist hier schwieriger, mit Menschen in Kontakt zu kommen als in der multikulturellen Aglo-Stadt. Auch möchte sie neben den Kindern wieder eine externe Aufgabe finden. Unser Haus und unsere Nachbarschaft gefallen uns – auch wenn es logistisch herausfordernder geworden ist.

Die Stiftung ist mit ihren Angeboten und Projekten sehr vielschichtig und breit unterwegs. Welches wird wohl für dich die grösste Herausforderung in der Führung der Stiftung sein? Was wird deine persönliche Challenge in dieser neuen Aufgabe?

Eine Herausforderung wird immer wieder das Zusammenbringen der verschiedensten Interessen sein, welche sich in der Stiftung und ihren Mitarbeitenden verkörpern. Dabei ist es mir wichtig, dass wir eine gemeinsame Richtung verfolgen und eine gemeinsame Vision haben. Die vielschichtigen Interessen zeigen sich zum Beispiel am Campus-Projekt in Zizers, wo das gemeinsame Ganze eben an gewissen Punkten nur auf Kosten der Einzelinteressen möglich ist. Eine weitere wichtige Herausforderung wird sicher sein, die christliche DNA der Stiftung zu erhalten und zu pflegen und immer wieder die Verbindung zwischen Professionalität und Spiritualität zu schaffen. Dazu braucht es ein Bewusstsein für die Geschichte, eine gelebte Spiritualität, aber auch die richtigen Mitarbeitenden, welche eine christliche Grundhaltung mitbringen. Es wird immer schwieriger, solche Mitarbeitende zu finden – und die Arbeit muss trotzdem getan werden. Ich sehe auch die Erhaltung und Stärkung der Wirtschaftlichkeit der Stiftung als wichtige Herausforderung. Wir müssen den Spagat zwischen dem sozialen Anliegen und unternehmerischem Denken immer wieder schaffen.

Meine persönliche Herausforderung ist es im Moment, mir einen Überblick zu verschaffen, meine Arbeit zu strukturieren, die Zusammenarbeit mit verschiedensten Playern aufzubauen und meine Aufgaben zu priorisieren. Dabei möchte ich meine Kräfte dort einsetzen, wo sie am effizientesten genutzt sind. Ich will lernen, Wichtiges vom Unwichtigen (oder weniger wichtigen) zu unterscheiden, genügend Grundlagen für gute Entscheidungen zu erarbeiten und mir dabei genügend Zeit für die Mitarbeitenden zu nehmen.

Welche Vision hast du als neuer Gesamtleiter und Theologischer Leiter für die Stiftung Gott hilft?

In der vergangenen Adventszeit und in Vorbereitung auf meine neue Aufgabe hat mich ein Text bewegt. Der Prophet Jesaja beschreibt einen Spross, der aus einem alten Baumstumpf spriesst (Jes. 11). Auf diesem Spross ruht Gottes Geis, und er begründet eine neue Herrschaft, welche Gerechtigkeit, Friede und Gotteserkenntnis bringt. Die tote Wurzel wird mit neuem Leben gefüllt und wird zum Feldzeichen – einem Wegweiser und Zeichen – für Gottes kommende umfassende Herrschaft.

Diese Prophetie, welche auf den kommenden Messias hinweist, ist ein gutes Bild für meine Vision für die Stiftung: dass sich unter uns zeichenhaft Gottes Reich verwirklicht, eben als Wegweiser auf Gottes Reich, welches auf dieser Welt am Kommen ist. Dass durch uns dem Machtlosen Recht verschafft wird, dass Gottes Shalom (sein ganzheitlicher Friede) sich ausbreitet, dass wir Ihn erkennen und kennen. Und es ist mein Gebet, dass sein Geist der Weisheit, Kraft und Erkenntnis mit uns ist.

Im Zentrum unserer Arbeit soll das Wohl und die Förderung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen, Bewohnerinnen / Bewohner und Gästen sein.

Dabei wollen wir uns immer wieder neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und um Wege ringen, an den Brennpunkten tätig zu sein. Die Gesellschaft ist in einem stetigen Wandel, neue Themen kommen auf uns zu. Digitalisierung, Klimawandel, eine stärkere Polarisierung, Migrationsströme, eine zunehmende Desintegration vieler traditioneller und christlicher Werte. Unser Gründer, Emil Rupflin, liess sich von der gesellschaftlichen Not bewegen und brachte diese Not in den Dialog mit Gott. Vor Gründung des ersten Heimes hielt er in seinem Tagebuch fest: «Es bewegte mich in diesen Tagen aufs Neue die Not der vielen Kinder, welche oft ohne einen Sonnenstrahl der Liebe aufwachsen, derer, die schon unwillkommen sind bei ihrer Geburt…». Mögen wir uns, damals, heute und weiterhin immer wieder bewegen lassen und in Bewegung setzen lassen, für «die Elenden im Land» einzustehen.

Du hast letztes Jahr ein Sabbatical eingelegt, bevor du die Stelle an der Stiftung angetreten hast. Wie hast du diesen „Zwischenhalt“ erlebt? Gibt es bestimmte Zwischenhalt-Momente und Rituale, die dich in deinem Arbeitsalltag auch weiterhin begleiten werden?

Die drei Monate Sabbatical waren eine intensive Zeit. Im ersten Teil war ich stark mit meiner Familie beschäftigt, mit dem Prozess des Loslassens und Neuanfangens. Ich habe auch bei mir gemerkt, dass mir das Loslassen von Wohnort und Beziehungen schwerer fällt, als ich gedacht hatte. Ich habe aber auch viel vom emotionalen Prozess meiner Familie aufgenommen. Loslassen mussten wir im letzten Jahr auch meine Mutter – und damit auch die Vorstellung, wie das Leben hier aussehen würde.

Jetzt fällt mir die deutliche Verbindung zum letztjährigen Thema „Loslassen-Empfangen“ auf: Um loslassen und wieder neu empfangen zu können, sind solche Zwischenhalte ganz wichtig. Hier können wir uns die Zeit nehmen, unsere bedürftige Seele wahrzunehmen und sie an die Hand zu nehmen, (siehe Artikel biblische Spur). Auf dem geistlichen Weg geht es oft ums Loslassen: unsere Wünsche und Vorstellungen, unsere Kontrolle, letztlich unser Leben. Mir hilft es dabei, mich in einer mehr kontemplativen Form der Spiritualität zu üben. Mir sind Zeiten der Stille und des Meditierens kostbar und dies möchte ich weiter einüben. Ein Höhepunkt war für mich die Woche, welche ich im Schweigen in einem Haus der Stille verbracht habe. Ich gehe regelmässig dorthin – und dies ist etwas, das ich auch in Zukunft tun möchte. Diese Zeiten der Stille sind für mich wie ein Aufatmen – ich komme tief in mir zur Ruhe, steige aus dem Nebel, sehe vieles in neuer Perspektive. Es tut auch gut, einfach sein zu dürfen, ohne irgendetwas leisten zu müssen: Geliebter zu sein.

Daneben war es gut, Zeit zu haben, mich in gewisse Themen zu vertiefen. Ich kam aber weniger zum Bücher lesen, als ich mir das ursprünglich vorgenommen hatte. Da musste ich lernen, mich nicht unter Druck zu setzen mit all meinen Zielen. Es sollte ja eine Auszeit sein!