Die Realität umarmen lernen

Gerne möchte ich das Thema «Loslassen – empfangen» am Beispiel eines jungen Elternpaares veranschaulichen, das gelernt hat, ihre Wunschvorstellung einer harmonischen und konfliktfreien Familie loszulassen. Indem die Eltern die Realität anzunehmen begannen, empfingen sie Gelassenheit.

von Cathy Zindel, Leitung Beratungsstelle Rhynerhus

Ein riesiges Geschenk

Nach vielen Abklärungen und langem Warten bekommen Ramon und Flurina ihr erstes Kind.
Die Dankbarkeit ist riesig. Sie können ihr Glück kaum fassen. Ihre ganze Kraft und Hingabe richten sie auf Linus. Keine Mühe ist ihnen zu viel: alle zwei Stunden stillen, stundenlang das Kind herumtragen, der Verzicht auf Schlaf – alles ist für sie kein Problem. Zu gross ist ihre Freude.

So haben sie sich das nicht vorgestellt

Allmählich aber stellt sich beim Paar eine gewisse Unzufriedenheit ein. Erstaunt stellen sie fest, dass sie sich das Leben mit einem Kind ganz anders vorgestellt haben. Letzthin brach Flurina vorzeitig mit dem weinerlichen Linus von der Geburtstagsparty ihrer Freundin nach Hause auf. Ihre ersten gemeinsamen Ferien als Familie am Gardasee waren ein Horror. Damit der Kleine nachts nicht das ganze Hotel weckte, spazierten Ramon und Flurina abwechslungsweise halbe Nächte mit ihm der Strandpromenade entlang. Überhaupt weint Linus abends oft, vor allem, wenn unter tags viel gelaufen ist. Frust und die Enttäuschung machen sich breit. Ach, wie haben sie von einer glücklichen und harmonischen Familie geträumt und jetzt ist es so ganz anders.

Eine Auseinandersetzung beginnt

Ein ehrlicher Prozess der Auseinandersetzung mit ihren Vorstellungen und der aktuellen Realität beginnt. Eines Tages merken sie, wir müssen uns entscheiden: »Entweder wir bleiben frustriert oder wir finden einen Weg, die Realität, so wie sie jetzt eben ist, anzunehmen.» Doch wie geht man diesen Weg?

Prozess in die Annahme der Realität

Wut wird ausgedrückt und Tränen fliessen. Das Klagen und Trauern braucht Zeit. Es geht nicht auf Knopfdruck. Die Seele kennt den Weg am besten und der ist individuell. Flurina sucht sich Hilfe von aussen. Ramon kommt beim Wandern ins Zwiegespräch mit Gott. Beide kommen dann zum Entschluss, ihre Vorstellungen von einem harmonischen, schmerzfreien Familienleben bei Gott loszulassen. Auch ihre Wut und Trauer überlassen sie ihm. Wieder gestaltet dies jeder auf seine Art, aktiv und eigenverantwortlich. Jeder empfängt auf seine Art. Der eine empfängt Trost und Liebe für sein Kind, der andere mehr die Gewissheit, es kommt gut und mein Kind darf so sein.

Jeden Tag neu ist die Chance da, das Empfangene einzuüben. Ramon und Flurina werden immer mal wieder hadern oder sich wünschen, ihr Familienleben wäre einfacher. Einmal wird der eine zu beissen haben, mal der andere. Sie können einander helfen, ihre momentane Realität immer wieder neu anzunehmen. Sie haben einen Gott, der sie dabei gerne unterstützt.

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